The Walk
The Walk
The Walk ist nicht als Zeichen für Flüchtende entstanden, schon gar nicht als Denkmal für den öffentlichen Raum, wie man leicht an der Entstehungsgeschichte erkennen kann.
Mir würde es gar nicht in den Sinn kommen, eine Skulptur, eine Arbeit mit einer so festgelegten Absicht zu beginnen. Skulpturen kommen auf ganz andere Art zu mir. Meist als plötzliche Eingebung. Die zunächst einmal so stark werden muss, dass ich ihr nachkomme.
Die Denkmalidee
Erst im Januar 2024, unter dem Eindruck der Correctiv-Enthüllungen und der spontanen Demonstrationen für Toleranz und Demokratie hat mich auf einer nächtlichen Hunderunde durch die Potsdamer Innenstadt der Gedanke getroffen, dass wir ein dauerhaftes Zeichen brauchen für die Flüchtenden, die Zugewanderten, letztlich für alle Menschen.
Ein Denkmal, nicht für vergangene Leistungen, kein Mahnmal für vergangene Vergehen, sondern ein Denkmal in einem aktuellen Prozess. Ein Zeichen, dass uns immer wieder daran erinnert, worum es hier geht: um Menschlichkeit, Toleranz und Demokratie.
Und dass The Walk genau das ist, ein Zeichen für das, was wir alle gemeinsam haben. Wir tragen alle das Geschenk des Lebens auf diesem kleinen, schönen Planeten und wir sind alle auf dem gleichen Weg — von der Geburt bis in den Tod.
Der Ort
Anfang Märt 2024 habe ich das Projekt dem Oberbürgermeister vorgestellt, der sofort begeistert war und das Zeichen gerne an einem zentralen Platz der Stadt sehen würde. In einem ersten Brainstorming wurde der Platz vor den Ringerkolonnaden als Standort ins Auge gefasst.
Er hat daraufhin, das Projekt an die zuständigen Stellen weitergeleitet. Im Moment wird in der Stadt über den geeigneten Standort diskutiert.
Die Finanzierung
Von Anfang an war mir wichtig, dass das Projekt von uns engagierten Bürgern getragen, unterstützt und auch finanziert wird.
Für die Herstellung der Wachsmodelle und den Guss der Bronzeskulpturen sind ca. 100.000,-€ veranschlagt, wobei die künstlerische Arbeit ohne zusätzliche Kosten in das Projekt eingebracht wird.
Ich habe mich sehr über den Vorschlag aus der Community der Unterstützer gefreut, neben normalem Sponsoring auch eine attraktive und niedrigschwellige Möglichkeit zu schaffen, sich an der Finanzierung zu beteiligen und gleichzeitig sein Comittment für das Projekt zu zeigen. Wenn du das gerne möchtest, kannst du hier einzelne Figuren und Figurengruppen aus dem originalen Walk erwerben und damit gleichzeitig schon zu Hause ein Zeichen setzen.
The Walk – die Genese
Der Ursprung
Obwohl ich tatsächlich schon sehr lange mit ähnlichen Figuren gearbeitet habe, sowohl in Bronze, als auch Papier und Wachs, kam es mir vor als wäre mit der Idee, kleine »Mönche« aus Greenstuff zu machen, etwas komplett Neues aufgetaucht, das ich vorher nicht im Sinn hatte und von dem ich auch nicht wusste, wie es sich entwickeln würde.
Dabei hat sich dann die ursprüngliche Idee während der Arbeit, in der Kommunikation mit dem Material und vor allem den Figuren selbst, immer weiter entwickelt. So entstanden zehn, dann Hunderte, dieser Figuren und jede einzelne war erst fertig, wenn sie genau den Ausdruck, die Haltung einnahm, die ihr entsprach.
Listening – Zuhören
Obwohl es Visual Art heißt, ist für mich Zuhören das wichtigste im künstlerischen Prozess. Zuhören schafft die Art von Bewusstsein, aus dem etwas Neues entstehen kann. Etwas, von dem ich nie wusste, dass ich es tun kann, oder vielleicht sogar muss? Etwas, das über das hinausgeht, was ich mir sich vorstellen kann.
Auch weil mein Gegenüber einen großen Teil dazutut. Denn im Arbeitsprozess, in der Kommunikation mit dem Material verdeutlicht, verändert sich die ursprüngliche Idee, bildet sich etwas heraus, bis wir – die Arbeit und ich – mit dem Ergebnis einverstanden sind.
Ich glaube, wenn man zuhört, wird einem der Weg durchs Leben gebahnt. Und wenn man zuhört, wird man die Wege jedes anderen Wesens wertschätzen.
Die richtige Frequenz
Erst einmal muss ich auf der richtigen Frequenz sein, um überhaupt Eingebungen, Inspirationen zu bemerken, zu erkennen und herunterzuladen. Oft beim Meditieren, oder bei Tätigkeiten mittlerer Aufmerksamkeit, beim Gehen, Zugfahren, beim Aufräumen oder Putzen. Es ist eine Art hörbare Frequenz, die ich nur mit dem Innenohr, oder manchmal als Empfindung im Nacken zwischen Hirnstamm und Rückenmark wahrnehme.
Meiner Meinung nach besteht die wichtigste und befriedigendste Fähigkeit bei allen kreativen Tätigkeiten darin, diese Frequenz zu finden. Egal, ob du ein Lied oder einen Roman schreibst, ob du malst, einen Film drehst, kochst oder deine Kinder erziehst, aufmerksames Zuhören ist aus meiner Erfahrung immer das Wichtigste.
Die Kugeln
Zunächst kamen – für mich erst einmal unerwartet und vor allem ungeplant – die Kugeln an die Figuren. Einfach als formale Notwendigkeit. Sie brauchten oder verlangten offensichtlich ein Zentrum, eine Art Gravitationszentrum in der Mitte der Figuren. Also eher eine formale oder syntaktische Maßnahme, ohne semantische Festlegung. Was sollen die Kugeln bedeuten?
Hier sind einige Beispiele, die ich an den verschiedenen Aufstellungsorten aufgeschnappt habe:⠀
„Jeder hat seine Last zu tragen.“
„Jeder hat eine wertvolle Gabe.“⠀
„Sie tragen die Schätze ihrer Erfahrungen mit sich.“⠀
„Sie tragen ihre Seelen vor sich her“
Was siehst du?
Die lange Reihe
Dann stellte ich, stellten sich die Figuren in eine Reihe hintereinander und nicht wie ursprünglich gedacht als Gruppe von fünf oder sieben Figuren. Wie vielleicht die Bürger von Calais.
Erst durch die Aufstellung hintereinander ergab sich die Möglichkeit und die Notwendigkeit, (potentiell) unendlich viele Figuren hintereinander auftauchen zu lassen.
Auftauchen auch in dem Sinne, dass sie nicht mit einem Blick alle wahrnehmbar sind, Betrachter:innen sie erst im Vorbeigehen erkennen.
Lauter Individuen
Vermutlich wegen der vielen Bilder, die uns von Menschen erreichen, die auf der Flucht sind und wirklich oft in langen Reihen hintereinander gehen, — ja, zu Fuß gehen — mit wenig oder fast keinem Gepäck, haben Betrachter:innen, die die ersten Figuren noch im Atelier gesehen haben, unter anderem die Lage an den europäischen Außengrenzen damit assoziiert.
Und gleichzeitig wird diese Assoziation auf einer unbewussteren Ebene dadurch provoziert, dass auch bei den Figuren im Atelier zunächst die schiere Masse beeindruckt, eine auf den ersten Blick anonyme Masse. Und wie im richtigen Leben offenbart sich die die Individualität, Emotionalität und Einzigartigkeit der einzelnen Figuren erst beim näheren Hinschauen.
Obwohl sie nur mit sehr wenigen Details angegeben sind, erscheint jede Figur, wie jeder Mensch, als einzigartiges Individuum. Sie gehen allein, in Gruppen, zu zweit oder vielleicht in kleinen Familien. Man weiß es nicht so genau. Im Vorbeigehen spürt man fast ihre verschiedenen Emotionen: energisch, ängstlich, entschlossen, anmutig, stoisch, liebevoll, beschützend, verletzt, entspannt, freudig, aufgeregt.
Das einzige, was man nicht sieht, ist die Farbe ihrer Haut. Denn #colordoesntmatter.
Das Material
Während das »Denkmal« aus 50-60 cm hohen Bronzeskulptueren bestehen soll, sind die Figuren des ursprünglichen Walk aus Green Stuff modelliert.
GS ist eine Epoxidharz-Zweikomponenten-Modelliermasse, die ursprünglich zum Modellieren zusätzlicher Details an Miniaturen für Tabletop-Spiele entwickelt wurde. Katrin hat mich auf dieses tolle Material aufmerksam gemacht.
Aber erst als ich in den 2000er Jahren viel auf Reisen war, habe ich angefangen, mit Green Stuff zu experimentieren. Ich kann damit in Hotels arbeiten, denn es ist sauber, staubt nicht weg wie Gips oder Ton und härtet über Nacht aus, sodass ich es in den Koffer werfen kann, ohne dass es sich verformt. Dabei war ich vor allem davon fasziniert, wie hauchdünn ich mit dem Material arbeiten konnte.
Jetzt habe ich auf jeder Reise ein paar Rollen Greenstuff dabei.